Floating market at the Mekong Delta in Cai Be

Kultureller Ausverkauf in Sapa

Vietnam ist anders. Ich hatte Bilder von wunderschönen Landschaften im Kopf, wie der Halong Bay oder unzähligen Terrassen mit Reisfeldern und Straßen voller Fahrräder. Ich stellte mir vor, Vietnam würde der ehemaligen DDR aus meiner Vergangenheit ähneln. Es ist nicht so, wie in meinen Vorstellungen. Ich wurde eines Besseren belehrt. Das Land ist wunderschön aber voller Überraschungen. Das Land beherbergt über 53 Ethnien. Ich erwartete eine Planwirtschaft und befand mich in einem wirtschaftlich aufstrebenden Land der sozialistischen Marktwirtschaft wieder. Überall wehte die rote Flagge mit gelbem Stern im Wind. Von den Reklametafeln lächeln weiße, westliche Gesichter und Shops von Samsung und Huawei gibt es an jeder Straßenecke. Westliche Marken wie Starbucks oder McDonalds gehören zum alltäglichen Straßenbild. Motorroller haben die Fahrräder verdrängt. Vietnam ist im Aufbruch, die Menschen sind konsumorientiert. Das Land bietet nicht mehr das versprochene Abenteuer, obwohl noch viele Backpacker eine Motorradtour auf einer Honda Win als Abenteuer sehen. Doch die Straßen sind größtenteils gut ausgebaut, besonders zwischen Ho Chi Minh und Hanoi. Nur wer Abstecher wagt, findet vielleicht noch sein Abenteuer auf sandigen Pisten und abgelegenen Orten. Einen negativen Höhepunkt im touristischen Ausverkauf erlebte ich in Sapa, einer Region im Norden Vietnams. Einst war Sapa der Zufluchtsort der Franzosen vor der Hitze des Sommers. Nun hat sich die ehemalige Bergstation zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. Nicht zuletzt wegen seiner Landschaften aus unzähligen Reisterassen, den heimischen Ethnien der Hmong, Red Dao und Tay, sowie dem Fansipan (3143m), dem höchsten Berg Indochinas. Doch diese Entwicklung ist begleitet mit dem Ausverkauf von Land und Leuten. Die Stadt quillt über vor Unterkünften, um die Touristenströme zu beherbergen. Leider kommt die Infrastruktur mit dieser Entwicklung nicht hinterher. Regelmäßig gibt es Stau, da die Straßen zu eng oder kaputt sind. Baustellen und wildes Parken blockieren den Verkehrsfluss. Darüber hinaus führt die mangelhafte Müllentsorgung zu vermüllten Straßen und Hinterhöfen. In diesem Umfeld werde ich von etlichen Frauengruppen verschiedener Ethnien belagert. Sie verfolgten mich regelmäßig und wollten mir Armbänder und Taschen verkaufen. Sie waren hartnäckig. Manchmal hatte ich Glück und andere ausländische Touristen weckten ihre Aufmerksamkeit. Verkaufsschlager in Sapa sind Hiking-Touren in die Dörfer der verschiedenen Ethnien. Diese können auch mit Übernachtung gebucht werden. Die ethnischen Gruppen verkaufen sich bzw. ein Bild von ihnen, das wir, die Touristen, gerne sehen wollen. Das heißt, wir erwarten Menschen in bunten, möglichst authentischen Kleidungsstücken, die in möglichst rustikalen Bambus- oder Holzhütten leben, damit wir den Hauch des Exotischen erleben können (ähnlich wie in Thailand mit den Long-Neck Tribes). Für den Besuch der Dörfer und Fotos von oder mit Angehörigen der Ethnie wird natürlich auch Geld verlangt. Die Authentizität dieser Dörfer wage ich stark zu bezweifeln. Es ist allerdings beruhigend zu sehen, dass in diesen Dörfern flächendeckend Schulen existieren, so dass die Hoffnung bleibt, dass die Anzahl an Kindern, die Schmuck und Fotos an Touristen in den Straßen Sapas verkaufen, zukünftig zurückgeht.

Der Geist des Berges

Ein weiterer trauriger Ausverkauf ereignet sich derzeit auf dem Berg Fansipani. Einst nur über eine mehrtätige Hiking-Tour zu erreichen, kann der Gipfel mittlerweile leicht mit einer Seilbahn besucht werden. Die technischen Daten beeindrucken und verweisen bereits auf die Zukunft des Berges. 2000 Personen kann die Bahn pro Stunde transportieren. Sie legt über 6km an einem Stück zurück und überwindet mehr als 1400 Höhenmeter. Damit hören die Superlative aber noch nicht auf. Auf dem Berg erwarten mich zwei Restaurants, ein riesiger Souvenirshop und ein Tempel. Alles neu gebaut und weitere Gebäude für Unterkünfte sind in Planung. Zum Gipfel führen 600 polierte Stufen, die an einer surrealen Landschaft aus Baukränen, Tempelgebäuden, Torbögen und Baugerüsten vorbei führen. Wenn ich von den Stufen zum Gipfel hinabblicke, sehe ich Baukräne in die Wolken ragen. Einst musste alles zu Fuss hier hochgetragen werden, um den Ausbau zu ermöglichen. Es fühlt sich an, als hätte man den Berg unter Beton begraben und ihm seine Seele genommen. Ich trauere um den Berg und bin doch gleichzeitig fasziniert von der Surrealität. Sapa hinterlässt bei mir definitiv gemischte Gefühle.

Deep Water Soloing in der Halong Bay

Für Kletterer hat Vietnam durchaus einiges zu bieten. Die Halong Bay mit ihren unzähligen Felsen bietet reichlich Möglichkeiten für Deep Water Soloing (Klettern ohne Seil und Absprung ins Wasser). Gemeinsam mit Christian, meinem Kletterpartner aus Deutschland, buchten wir eine geführte Tour und fuhren mit einem Boot an die Felsen. Ich brauchte einige Überwindung, um ins Wasser zu springen. Meine Wohlfühlgrenze liegt bei sechs bis sieben Metern ausgemacht. Alles über dieser Höhe verlangt ungemein viel Überwindung. Unser Guide ist dann auch noch sein Projekt geklettert. Geschätzte 30m war die Route hoch. Es war sein erster erfolgreicher Durchstieg. Der Sprung war furchteinflößend, aber außer Nasenbluten gab es keine Verletzungen. In Vietnam musste ich mich auch damit auseinander setzen, dass ich Asien vorerst verlassen würde. Ich würde die nächste Zeit in Europa verbringen. Es fühlte sich wie ein dauerhafter Abschied an, obwohl die Zukunft noch nicht geschrieben ist.