Climbing in Ogawayama

Abenteuerliche Kletterei in Japan

Eindrückliche Riss-Kletterei

Als ich Freunden erzählte, dass ich nach Japan reisen würde, sah ich unzählige Bilder vor ihrem geistigen Auge erscheinen. Samurai, Geisha, Frauen in Kimonos, Onsen (heiße Quellen zum Baden), Teezeremonien, Hochhäuser mit Neontafeln, Mangas, überfüllte Züge, Tempel und Burgen und der Berg Fuji. Ich war bereits einer Woche in Japan und habe lediglich Hochhäuser, Neontafeln und volle Bahnsteige gesehen. Stattdessen hing ich in der letzten Seillänge von „Selection“ (Yane Iwa Rock) und verzweifelte an einer Verschneidung mit einem klaffenden Riss, der keine Leisten oder Kanten besaß. Der Riss ist abgerundet und bot keinerlei Halt für Laybacks (eine spezielle Klettertechnik). Meine geringe Erfahrung in Risskletterei erlaubten mir nicht, spezielle Hand- oder Fußtechniken anzuwenden. Die Verschneidung zu stemmen – eine meiner Lieblingstechniken – war überraschenderweise genauso schwer umzusetzen. Ich kämpfte um jeden Zentimeter, der mich höher bringt.

Es war die letzte Seillänge und Nicolas sicherte mich vom Gipfel. Nur wenige Minuten zuvor stieg er diese Route vor. Auch für ihn war es schwer und seine Anspannung strahlte auf mich ab. Ich bereitete mich innerlich auf einen Sturz vor und kalkulierte die Risiken. Meine Hände schwitzten. Die Route war nicht gesichert. Nur zwei mal konnte er eine Selbstsicherung legen. Die Abstände dazwischen waren allerdings weit. Jeder Sturz hätte erhebliche Verletzungen zur Folge, da ein riesiger Absatz, von dem aus ich ihn sicherte, einen risikofreien Fall verhinderte. Aber er behielt die Nerven und schaffte es zum Gipfel. Meine Nerven hingegen hingen blank und Verzweiflung machte sich in mir breit, obwohl ich im Toprope hing. Wie sollte ich diesen Abschnitt nur bewältigen? Meine Muskeln waren müde. Mit letzter Kraft erreichte ich die Kante. Doch was ich dann sehe, bringt keine Erleichterung. Aus der Verschneidung wurde Plattenkletterei vom Feinsten. Ich konnte meine Füsse nicht lösen, da ich keine Griffe für die Hände fand.

„Ich fühle mich wie eine Robbe, die am Beckenrand hängt und es nicht schafft, aus dem Wasser zu kommen.“

Mir war nach Lachen und Weinen zugleich zumute. Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen und den Tag beendet. Doch hier würde mich keiner abholen. Ich musste also weiter. Mit letzter Kraft erreichte ich dann doch den Gipfel: zerstört und erleichtert zugleich. Was für ein Tag in Ogawayama und einer der Tage, die mir deswegen besonders im Gedächtnis bleiben würden.

Die Mentalität japanischer Kletterer

Doch irgendwie zeichnete diese Mehrseillänge auch die Mentalität der japanischen Kletterer aus. Die Route war nur sehr mager abgesichert. Ein Riss benötigt schließlich keine Bolts. Hand- und Fußtechniken und hin und wieder ein Keil reichen aus, um die Routen abzusichern. Den ersten Eindruck, den ich von den japanischen Kletterern aus China mitgenommen hatte, hat sich hier nur noch mehr bestätigt. Sie sind Risiken gewohnt und ausdauernd. Große Hakenabstände machen ihnen genauso wenig Sorge, wie altersschwache Bohrhaken. Ihre Leistungen können sich sehr wohl mit denen bekannter Klettergrößen messen. Der einzige Unterschied ist der, dass die großen Marken und die Marketingmaschinerie den japanischen Markt wohl noch nicht genauer betrachtet haben. Aber ich denke, mit den Olympischen Spielen in Tokio 2020 wird sich das ändern. Was uns dann aber doch wieder vereinte, war die Lagerfeuer-Mentalität. Abends suchten alle im Wald totes Holz. Stapelweise zog jeder Äste aus dem Wald, um Fleisch und Gemüse über dem selbst gebauten Lagerfeuer zu grillen und sich vor der herankriechenden Kälte zu wärmen. Gelächter schallte durch die Dunkelheit und hier und da spielte jemand Gitarre.

Klettern in Ogawayama

Ogawayama befindet sich nordwestlich von Tokio. Es ist das größte Klettergebiet Japans für Sportkletterer und Traditionalisten gleichermaßen. Die einzigartigen Granitfelsen bieten ungewöhnliche Risskletterei (Crack) sowie Plattenkletterei (Slab). Da die Kletterführer nur in japanischer Sprache und die Darstellungen der Routen und das Kartenmaterial nicht den gewohnten Standards entsprachen, glich die Suche nach den Felsen oder den Einstiegsstellen für die Routen so manches Mal einer Schnitzeljagd. Nicht nur einmal kletterten wir in den falschen Routen oder am falschen Fels. Doch irgendwie machte das den Reiz des Gebietes aus. Camping, Onsen und immer wieder Überraschungen. Nicolas´ Kenntnisse der japanischen Sprache halfen sehr, sich mit den Einheimischen auszutauschen, da in den ländlichen Gebieten nur wenige Japaner Englisch verstanden.

Klettern in Shizuoka

Trotz der Vielfalt in Ogawayama ist mein favorisiertes Klettergebiet in Japan auf der Halbinsel Shizuoka. Jo-Yama und Jogasaki waren dabei meine Highlights. Viele Felsen bieten wunderschöne Aussichten auf das Meer oder den Berg Fuji. Diese japanische Ikone hat meine Vorstellungen wirklich übertroffen. Sein Anblick fesselte mich sofort. Viel wurde über ihn geschrieben und ich kann alles bestätigen. Majestätisch und elegant zugleich überragt er die Insel und alles drum herum scheint zu verblassen. Bei Sonnenuntergang schimmert seine schneebedeckte Kuppe blassrosa und die Zeit scheint langsamer zu vergehen. Fuji ist einer der Vulkane, die einen Zauber ausstrahlen, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Meine Reise endete zwar mit einem sentimentalen Blick auf Fuji, aber er blieb dann doch nicht das einzige Wahrzeichen, das ich in Japan besichtigt habe.