Black Dragon Pool Park View in Lijiang

Spione in der Tiger Leaping Gorge?

Unter Verdacht?

Es begann mit einer harmlosen Begegnung in der Tiger Leaping Gorge, einer malerischen Schlucht im Westen Chinas. Vom Himalaya kommend bildet der Fluss Jinsha den oberen Teil des Yangtse-Flusses. Seine gewaltigen Wassermassen stürzen mit einer unbeschreiblichen Wucht ins Tal und verursachen ein ohrenbetäubendes Grollen. Die Wassermenge und das Gefälle sind so gewaltig, dass die Chinesische Regierung 25 Wasserkraftwerke am Jinsha Fluss geplant hat. Einige davon sind bereits fertig gestellt. 

Durch die Tiger Leaping Gorge führt eine beliebte mehrtägige Wanderung. Eine chinesische Reisegruppe mit Wanderführer wollte Fotos mit uns, einem englisch-norwegischen Pärchen und mir, machen. Wenige Stunden nach dieser ersten Begegnung trafen sich unsere Wege erneut und ich saß mit einem der Wanderer in einem Mehrbettzimmer des Halfway Guesthouses. Wir unterhielten uns mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen. Anfänglich wirkte die Unterhaltung harmlos. Woher kommst du? Wo warst du schon in China? Doch mit der Frage nach dem Namen, nahm das Gespräch eine unerwartete Wendung. „Wie heißt du?“ „Ai.“ Ah, wie Ai Wei Wei, der chinesische Künstler und politische Aktivist, dachte ich und sagte es. Und schon befand ich mich in einer Unterhaltung über Chinas Politik.

„Was denkst du über die Korruption in China? Ich mag Deutschland. In Deutschland gibt es keine Korruption.“ Ai 

Will ich darauf wirklich antworten? In meinem Hirn ratterte es. Ich hatte nicht vor, in den Genuss einer Befragung durch chinesische Behörden zu kommen oder ein chinesisches Gefängnis von Innen zu besichtigen. Meine Antwort war ausweichend. Doch es wurde noch dubioser: „Ich habe einen Freund. Ich hole ihn, er würde dich gerne kennenlernen.“ „Aha“, dachte ich. Ich evaluierte meine Situation. Er kannte meinen Vornamen. Ich befand mich in den Bergen. Ich bereiste China seit 1,5 Monaten auf einer Route, die vom ursprünglichen Plan abweichte – erheblich sogar. Ich bin bereits im Familienalbum eines KP-Mitglieds, der mich in Kleidung, Auftreten und Frisur sehr an den ehemaligen Führer Mao Tse-tung erinnerte. Die Kameraüberwachung in China ist lückenlos. Welche Optionen hatte ich? Als der besagte Freund ins Zimmer kam, war ich bereits mit meinem Handy beschäftigt. Ich wollte weiteren Unterhaltungen dieser Art aus dem Weg gehen. Chinesen starren unentwegt aus ihr Handy. Der Freund war der Reiseführer der anderen Wandergruppe. Er versuchte die Tür von innen zu verriegeln. Auch ich versuchte das bereits früher am Abend. Erfolglos. Er war ebenso erfolglos und stellte letztlich einen Eimer und Sandalen vor die Tür. Wenn jemand versucht einzubrechen, würde der Eimer Lärm erzeugen.

Ich war alleine mit zwei Männern in einem abgelegenen Zimmer in den Bergen unterwegs. So ganz wohl war mit nicht, aber ich hatte noch nie in China Sorgen wegen etwaiger Verbrechen. Ich wollte nur keine Erfahrungen mit den chinesischen Behörden machen. Daher leitete ich die Zweite Phase ein. Ich legte mich Schlafen ohne ein weiteres Wort mit den beiden zu wechseln. Ich hatte eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen standen die beiden sehr früh auf. Beim Frühstück nickten wir nochmals einander zu. Dann verschwanden sie aus meinem Leben. Ich erinnerte mich an einen Zeitungsartikel der BBC. Darin forderte die chinesische Regierung die Bevölkerung auf, potentielle Spione oder Verdächtige den Behörden zu melden. Noch heute frage ich mich, ob ich einfach nur die Chance gehabt hätte, eine Unterhaltung über Chinas Politik zu führen, oder im Fokus aufmerksamer Mitbürger stand. Ich werde es leider nie erfahren. Doch die Tiger Leaping Gorge wird für immer in meiner Erinnerung mit dieser Begegnung verwoben sein. So wie einst der Tiger mit einem Sprung über den Fluss seinen Verfolgern entkommen ist, bin ich meinen neugierigen Schatten entkommen und kehrte zurück nach Lijiang, einem Ort im Westen Chinas.

Chinas Shangri-La

Diese Region in Yunnan wird gerne mit dem mit dem sagenumwobenen Shangri-La aus dem Roman „Der verlorene Horizont“ von James Hilton in Verbindung gebracht. 2001 erhielt der Ort Zhondian die Erlaubnis, sich in Shangri-La umbenennen zu dürfen. Er ist lediglich vier Stunde Busfahrt von Lijiang entfernt. Lijiang ist eine Reise wert. Eines der bekanntesten Fotomotive Chinas befindet sich hier: Eine Pagode inmitten eines Sees und im Hintergrund das ganzjährig schneebedeckte Jadedrachen-Schneegebirge. Der Anblick ist klassisch und zeitlos zugleich. Die Altstadt auf 2600 Metern Höhe hat mittlerweile den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes. In der Region leben neben den Han-Chinesen die Ethnien der Naxi, Yi und Lisu, die einen großen Anteil am Tourismusboom haben.

„Wir haben eine Kollektion von mehreren hundert [Karten] […]. Sie stehen Ihnen alle zur Inspektion zur Verfügung, aber ich kann Ihnen vielleicht schon in einer Hinsicht Ärger ersparen. Shangri-La ist auf keiner eingezeichnet.“ aus James Hilten „Der verlorene Horizont“

Die Gebäude der Altstadt sind allerdings längst nicht alle historisch. 1996 zerstörte ein Erdbeben der Stärke sieben einen Großteil der Altstadt. Erst mit dem Wiederaufbau erhielt die Stadt den UNESCO-Titel. Wie ich finde trotzdem zu Recht, denn die Stadt besitzt viel Charme. Die Altstadt besteht aus einem Labyrinth aus Pflastersteingassen, Wasserkanälen und Brücken. Nicht einmal Google Maps kann hier helfen, wenn man sich verlaufen hat. Und das ist mir einige Male passiert. Die Holzhäuser sind reich mit Schnitzereien verziert und es gibt wie üblich, unzählige gut erhaltene Tempel.

Nachts erleuchten hunderte Laternen und Lampions die Altstadt. Zu dieser Zeit füllen sich die Straßen mit so vielen Besuchern, dass ein ungehindertes Flanieren nicht mehr möglich ist. Auf den kleinen, steinerne Bogenbrücken und an den Kanälen sammeln sich Touristen für Selfies. Es ist vergleichbar mit einer überfüllten U-Bahn in Japan, bei der man von vorne bis hinten durchlaufen will, aber sich lediglich langsam durch schmale Lücken schieben kann. Alle paar Meter stoppen die Besucher für kulinarische Leckerbissen. Besonders empfehlenswert sind die Blütenküchlein, mit einer süßen Füllung aus Blumenblüten.

Ich wäre gerne länger geblieben, aber es zog mich weiter zum berühmten Steinwald von Kunming.