Candle ceremony at Ganga Aarti in Varanasi

Das Geschäft mit dem Tod

Hupende Autos, trötende Rikschas und Mopeds und kreischende Fahrradklingeln verbinden sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm-Potpourri, der mein Trommelfeld quält. Varanasi – die heilige Stadt am Ganges und die heiligste Stadt des Hinduismus! Und es ist so unerträglich laut in der Innenstadt, dass ich mir öfters die Ohren zuhalten muss. Ich sehne mich zurück nach der Stille der nepalesischen Berge. Dass die Stadt so belebt ist, ist nicht verwunderlich, wenn man auf ihre lange Geschichte zurückblickt. Varanasi ist eine der ältesten durchweg bewohnten Städte der Welt. Laut hinduistischer Mythologie wurde Varanasi von Shiva, einem drei Hauptgötter des Hinduismus, gegründet. Dieser hatte dem Gott Brahma einen seiner fünf Köpfe abgerissen. Als Shiva später den Ort besuchte, wo später Varansi entstehen sollte, hat Shiva den Kopf verloren. Dieser fiel auf den Boden und verschwand. Daher gilt Varanasi als sehr heilige Stätte. Historische Quellen besagen, dass die Stadt von Kashya, dem Sohn von Suhotrra, um 1.200 vor Christus gegründet wurde.  Pilger aus aller Welt kommen nach Varanasi, um sich im heiligen Fluss der Göttin Ganga von den Sünden zu reinigen. An den zahlreichen Ghats, den Uferpromenaden, tummeln sich schon ab 6Uhr morgens hunderte Anwohner, um sich zu waschen. Nebenher führen Priester die sogenannte ‚Ganga Aarti Puja‘, ein Ritual zur Huldigung des Ganges, durch. Dieses wird sowohl zum Sonnenaufgang als auch zum Sonnenuntergang zelebriert. Besonders abends finden sich mehrere tausend Menschen ein. Einheimische und Touristen gleichermaßen lassen sich von der stimmungsvollen Zeremonie am Ganges begeistern. Priester ragen brennenden Aarti Kerzenlampen in die Luft und huldigen Ganga. Hunderte bunt bemalte Boote voller Touristen beobachten das Geschehen vom Fluss. An Land verkaufen unzählige Kinder schwimmende Kerzengaben mit Blumen. Nach und nach schwimmen immer mehr Kerzen den Ganges hinab. Es wirkt wie aus alten Geschichten, wo die Seelen der Verstorbenen ihre Reise ins Reich der Toten antreten.  Ein besonderer Ort sind die Ghats, an denen die Toten auf Holzhaufen verbrannt werden. In Varanasi zu Sterben ist für die Hindus etwas ganz Besonderes, da sie hier aus dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt ausscheiden können. Der Besuch dieser Ghats ist lohnenswert. Die Leiche wird in goldene Leinen gewickelt und begleitet von Gebeten von den männlichen Angehörigen und Verwandten durch die engen Gassen der Altstadt getragen. Autos können nicht zu den Ghats fahren, da die Strassen der Altstadt zu eng sind. Anschließend wird die Leiche in den Ganges getaucht und auf den Holzhaufen gelegt. Dieser wurde vorher genau abgewogen und das Holz mit Ghee eingerieben, damit es anschließend gut brennt. Die Einäscherung kann bis zu drei Stunden dauern. Frauen sind hier nicht erlaubt. In der Vergangenheit haben sich immer wieder in die Scheiterhaufen ihrer verstorbenen Männer gestürzt. Um die Seele des Verstorbenen von allen weltlichen Fesseln zu lösen, werfen die männlichen Angehörigen einen mit Gangeswasser gefüllten Tonkrug über ihre Schulter und verlassen dann den Ort, ohne sich noch einmal umzuschauen. Damit sind alle Bande aufgelöst. Dass auch hier neben dem spirituellen Aspekt der Tod ein Geschäft ist, zeigt sich an mehreren Dingen. Je nach verwendeter Holzart lässt sich der Preis für die Bestattung vervielfältigen. Sandelholz ist am Teuersten und kostet bis zu 20000 Rupien pro kg. Für eine Bestattung wird rund 100kg Holz benötigt. 1kg normales Holz kostet ungefähr 600-800 Rupie – knapp 10 Euro. Weiterhin wird die Asche der Eingeäscherten wie bei den Goldgräbern gesiebt, bevor sie in den Ganges entlassen wird, um Goldzähne und Schmuck zu finden. Die Funde werden unter den Arbeitern verteilt und der Rest geht an den Besitzer des Ghat. Touristen sind ebenso eine guten Einnahmequelle, wie wir am eigenen Leib erfahren haben. Neben den üblichen Bootstouren zum Ghat gibt es vor Ort Arbeiter, die sich als kostenlosen Guide anbieten, um anschließend um eine „Spende“ zu bitten. Das kann aufdringlich sein, aber ich habe durch so einen Guide viel über die Zeremonie gelernt. Eine der Wichtigsten Regeln am Ghat ist allerdings das Verbot, zu fotografieren. Wenn man sich nicht daran hält, kann man schon mal unangenehme Erfahrungen machen, selbst wenn man noch weit vom Ghat und seinem Geschehen selbst weit entfernt ist. Ich stand mit meiner deutschen Begleitung auf einem angrenzenden Ghat und haben  Panoramaaufnahmen von den Ghats gemacht. Es waren keine Detail-, oder Nahaufnahmen noch Verbrennungen zu erkennen. Aus unserer Sicht, also hielten wir uns also an die Vorgaben. Dennoch kamen zwei Männer auf uns zugelaufen und wollten, dass jeder von uns 2000 Rupie Strafe zahlt. Es kam zu einer heftigen Diskussion. Unsere Entschuldigungen und das Angebot die Fotos zu löschen wurden ignoriert. Wir fühlten uns sprichwörtlich bedroht. Sie stellten sich uns in den Weg und telefonierten angeblich mit der Polizei oder dem Ghatsleiter. Das war nicht ganz klar. Wir sind dann schnell und zielstrebig weggegangen und in den engen Gassen der Altstadt eingetaucht, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Wir vermuteten, dass es sich lediglich um Holzverkäufer handelte, die ein Nebeneinkommen witterten. Später haben wir das Ghat über einen anderen Zugang besichtigt.
Letztlich sind die Inder nicht unangenehm oder aufdringlich sondern geschäftstüchtig.
Diese Einstellung hilft einem enorm dabei, das Verhalten und das Land zu verstehen. Sie haben andere Grenzen im Umgang mit Menschen und in Bezug auf Privatsphäre und Nähe. Ein freundliches ‚Nein, danke‘ wird schnell akzeptiert. Wenn nicht, hilft eine gute Portion Ignoranz im Umgang mit unangenehmen Situationen. Wenn diese Dinge verinnerlicht sind, kann man auch relativ entspannt das Land bereisen.