View from a climb on Monkey Wall

Sehnsuchtsort und Klettermekka Tonsai

Auf einem farbenfrohen Longtail-Boot näherte ich mich Tonsai Beach. Dies war die einzige Möglichkeit, das berühmte Kletterparadies in Thailand zu erreichen. Das türkisblaue Meer schwappte geräuschvoll unter dem langgezogenen Boot. Nur das Geräusch des Bootsmotors zerstörte die Idylle, als wir uns dem leeren Strand  näherten. Ich hatte schon viele Geschichten von Tonsai gehört: unvergleichlichen Kletterfelsen in atemberaubender Atmosphäre umgeben von Dschungel. Es gibt hier keine Auto und keinen Straßenlärm. Es war abgeschieden, wie auf einer Insel, ohne eine zu sein. Auf der anfänglich noch asphaltierte Straße begegneten mir nur wenige Menschen. Es war Nebensaison. Es war Regensaison. Im Juni finden sich nur wenige Kletterer hierher. Die Hauptsaison ist im liegt im Dezember und Januar. Jetzt war es ruhiger. Unwillkürlich erinnert mich der Ort an ein Piratennest in der Karibik. Versteckt in einer unzugänglichen Bucht befinden sich wild zusammengebaute und bunt bemalte Holzbauten. Ebbe und Flut bestimmen den Alltag und das Klettern. Abends geht es in eine der unzähligen Bars, spielt Billard, trainiert auf der Slackline oder genießt die allabendliche Feuershow. Tonsai ist kein Ort der Hektik. Hier tickt die Uhr langsamer und die Nächte können sehr lang werden.

Im angrenzenden Railey Beach, das nur bei Ebbe über den Strand oder über einen längeren Weg durch den Dschungel erreicht werden konnte, war alles geordneter, und organisierter. Dort haben Hotels und Bungalowanlagen der gehobenen Klasse Fuß gefasst. Tonsai war das Gegenteil davon. Es herrschte eine anarchische Stimmung, bei der aber noch immer die Einheimischen das Sagen hatten. Nicht nur einmal habe ich miterlebt, dass diese gerne selbst für Ordnung sorgen. Eine Polizei gibt es in Tonsai nicht. Versucht ein Tourist die Einheimischen übers Ohr zu hauen, muss dieser mit Konsequenzen rechnen. Im besten Fall endet es mit einer gebrochenen Nase und einem blauen Auge.

Tonsai und der angrenzende Railey Beach bieten unendlich viele Sportkletterrouten und Mehrseillängen in allen Schwierigkeitsgraden. Die Zustiege waren relativ kurz doch teilweise war die Erreichbarkeit auch von den Gezeiten des Meeres bestimmt. Die anwesende Klettercommunity war klein. Es war leicht  jemanden zum Klettern zu finden, die viele Kletterer alleine anreisten. Meine Klettererwartungen kollidierten allerdings mit der Realität vor Ort. Ich hatte mich vorab für ein Workaway vor Ort entschieden, um so Geld für Übernachtung und Essen zu sparen. Der Schichtdienst an der Rezeption und die Regenzeit vereitelten meine intensiven Kletterpläne. Nicht nur einmal regnete es durchgängig an meinen freien Tagen, so dass ich meine Pläne für Mehrseillängen anpassen musste. Während ich also Vormittags oder Nachmittags an der Rezeption arbeitete, lockten die hohen Kalkfelsen mit Meerblick. Es war teilweise eine Folter. Das Wetter war launisch mit schönstem Sonnenschein oder ausgiebigen Regenschauern.  Die Illusion von der perfekten Kombination aus Arbeit und Klettern habe ich  schnell über Bord geworfen. Wer in Tonsai ist und klettern will, sollte sich nicht derlei Ketten auferlegen.

Tonsai ist ein Ort der Begegnung – mit Mensch und Natur.  Es ist einerseits ein Rückzugsort zum Innehalten, ein Ort der Entdeckungen und eine Ort zum Verbinden. Abgeschieden von der Außenwelt ist die Bucht ein Ort der Kreativität geworden. Die lange Mauer ist zur Leinwand all der kreativen Köpfe geworden, die in Tonsai verweilten. Es ist ein Ort der Verbindung, in der tiefe, ergreifende Beziehungen eingegangen werden, die auf offenen Gesprächen, Vertrauen und Ehrlichkeit basieren und das Herz berühren. Die umgebende Natur und die Abgeschiedenheit tragen erheblich zu diesen Entwicklungen und Erfahrungen bei und machen den positiven Vibe dieses Ortes aus. Bei alledem darf man aber auch die Schattenseiten nicht ignorieren. Die Bucht ist  auch ein Ort der Egozentriker, in der unentwegt Lehrstücke der Selbstbezogenheit präsentiert werden, in der die Verbindungen der Menschen zueinander labil sind, in der Sender Unterhaltungen dominieren und die Empfänger mit einem Gefühl der Leere und Bedeutungslosigkeit zurückgelassen werden. Hier kann die Abgeschiedenheit der Bucht  enttäuschende Erfahrungen intensivieren.

Tonsai wirkt wie ein Verstärker. Er weckt Wünsche und Sehnsüchte. Er kokettiert mit dem Verlangen der Menschen nach ein wenig Anarchie und noch mehr Freiheit. Gerne wird übersehen, dass Geld diesen Strand ebenso regiert, wie anderswo. Das Piratenflair ist wohlgefällige Fassade für das harte Business der Einheimischen, die aus der Not ein florierendes Geschäft und sich und ihren Familien eine Zukunft aufgebaut haben. Und diesem sollten alle Besucher dieser Idylle mit Respekt und Rücksicht begegnen.