Musician at Lake Pichola in Udaipur

Venedig des Ostens

Die Sonne steht hoch oben am Himmel. Eine kühle Brise weht mir ins Gesicht. Ich muss die Augen zukneifen. Die Reflexionen des Sees blenden mich. Kleine Wellen bewegen sich langsam durch das Wasser. Sie wirken wie Seide, die im Wind weht. Hier und da glitzert es, wo Wellenberge brechen. In der Ferne sehe ich die Umrisse von sanften Hügeln. Einst blickten die Herrscher Mewars von ihrem Stadtpalast auf diesen See. Der Pichholasee ist allerdings nicht natürlich entstanden. Stammesangehörige der Banjara hatten bereits 1362 n.Chr. begonnen, Wasser zu stauen und so ein künstliches Wasserreservoir zu erstellen. Der See erhielt seinen Nahmen nach dem nahegelegenen Dorf Pichholi. Maharana (bedeutet „König der Könige“ in Hindi) Udai Singh soll so beeindruckt von der Landschaft gewesen sein, dass er hier um 1559 Udaipur gründete und zur Hauptstadt des Mewar-Reiches machte. Die Lage am See und die hügelige Landschaft war eine ausgezeichnete Barriere bei bewaffneten Konflikten. Udai Singh gründete nämlich nicht freiwillig eine neue Hauptstadt an dem beschaulichen Pichholasee. Großmogul Akbar I hat die einstige Hauptstadt des Mewar-Reiches, Chittorgarh, belagert und schließlich 1568 erobert. Die Verlagerung an diesen See hatte auch strategische Gründe. Seitdem wurden weitere Seen aufgestaut. Teilweise sind diese miteinander verbunden. Ein beliebtes Fotomotiv ist die kleine Bogenbrücke, die von Maharana Swaroop Singh (1842-1861) erbaut wurde. Sie führt über die Wasserader, die den Pichholasee mit dem Saroop Sagar See verbinden. Mit der Unabhängigkeit Indiens 1947 von der britischen Kolonialherrschaft wurde das Mewar-Reich in den Bundesstaat Rajasthan integriert. Bis 1956 regierten die Maharana von Mewar aus dem Stadtpalast Udaipurs. Mittlerweile dient ein Teil des Palastes als Museum. Ein anderer Teil wird als Hotel genutzt.  Neben dem Stadtpalast zählt der Jag Mandir Palast, mittlerweile eines der teuersten Hotels in Indien, zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Udaipurs. Das Lake Palace befindet sich mitten im Pichhola-See. Es war einst die Sommerresidenz von Maharana Jagat Singh II. Besondere Bekanntheit erhielt der Lake Palace durch Filme wie „Der Tiger von Eschnapur“ (1959) oder „James Bond 007 – Octopussy“ (1983). Durch die Lage bietet Udaipur eine frische Brise und Erholung im sonst heiße Wüstenklima. Die Stadt ist, ebenso wie Jaipur, bekannt für seine Juwelen und Schmuckproduktion. In den kleinen Gassen abseits der Touristenpfade finden sich unzählige kleine Läden, die in Handarbeit Ketten, Anhänger und sonstigen Schmuck herstellen. Trotz Nebensaison sind die Preise in den Restaurants, Hotels und Geschäften hoch, sodass wir relativ schnell weiterziehen. Gern hätte ich länger an diesen Ort erkundet. Leider ist die europäische Kaffeekultur hier unbekannt. Es ist nicht ungewöhnlich, die Rechnung zu erhalten, wenn man nix mehr bestellt, aber in Udaipur wird der Gast sofort gebeten zu gehen um den Tisch für neue Kunden frei zu machen, selbst wenn genügend freie Plätze vorhanden sind. Wie betrüblich. Kein Ort zu Verweilen und sich der Muße hinzugeben. Ich vermisse es sehr, stundenlang im Café zu sitzen und mit Freunden zu quatschen – mit nur einem Kaffee!