Night show at Gardens by the Bay in Singapore

Asiens sicherer Hafen

Ein Hafen der Sicherheit und des Kapitalismus – so lässt sich Singapur am Besten beschreiben. Anfang Juni landete ich im modernen Stadtstaat. Es war schwül und heiß. Die moderne Architektur und die geordnete Geschäftigkeit standen im krassen Gegensatz zu dem chaotischen, heimeligen und hinduistischen Bali.

Singapur ist multikulturell, doch die Spiritualität und Religiosität steht hier im Hintergrund. Einst Teil von Malaysia setzt sich die Bevölkerung überwiegend aus Chinesen (rund 70%), Malaien und Indern zusammen. Seit Sir Thomas Stamford Raffles 1819 die erste Niederlassung der Britischen Ostindien-Kompanie auf der wenig besiedelten Insel gründete, hat sich die Stadt zu einem Finanz-, Geschäfts- und Transportzentrum entwickelt. Dies war allerdings nur durch politische und rechtliche Entwicklungen und Strafsysteme möglich, die an Orwells 1984 erinnern. Nichtsdestotrotz – es war für mich ein Ort der Entspannung im Sinne von persönlicher Sicherheit. Nachts durch Singapur zu spazieren, die Architektur und die atemberaubende Skyline zu bewundern, ohne sich Gedanken um die eigene Sicherheit zu machen, gehörte für mich zu den positiven Seiten der Stadt.

Jährlich besuchen über zehn Millionen Besucher Singapur. Zu den Hauptattraktionen gehört natürlich die futuristische und mutige Architektur. An der Marina Bay  finden sich beispielsweise das futuristischen Hotel Marina Bay Sands und das lotusförmigen ArtScience Center, das Esplanade Theater und die Gardens by the Bay mit seinen Gewächshäusern Flower Dome und Cloud Forest. Allein für die Gardens by the Bay wurden 101 Hektar Land künstliche aufgeschüttet. Besaß Singapur 1960 rund 581 Quadratkilometer Landfläche, so vergrößerte sich diese bis 2018 auf 721 Quadratkilometer. Bis 2030 plant die Stadt seine Landfläche durch künstliche Landgewinnung auf rund 766 Quadratkilometern zu vergrößern. Darüber hinaus sieht der Landnutzungsplan vor, nicht nur eine Gartenstadt (Garden City) zu sein, sondern eine Stadt im Garten (City in the Garden). Der Plan sieht außerdem vor, das um die 85% der Bevölkerung in einem Umkreis von 400 Metern Zugang zu einem Park hat. Dieser Trend wird auch verstärkt in der Architektur sichtbar. Viele Gebäude besitzen organische Strukturen oder sind bepflanzt. Als Grüne Revolution bezeichnet, finden sich an den Hochhausfassaden immer häufiger hängende Gärten. Auf den Dächern werden kleine Gemüsegärten und Parks angelegt. In der Beton- und Stahlwüste Singapurs entstehen kleine grüne Oasen.

Der botanische Garten im Herzen der Stadt, die politische Ruhe, die eindrücklichen Ziffern zum Wohlstand und die umschwärmten Universitäten des Landes mögen mitunter den Eindruck eines Gartens Eden erwecken. So idyllisch ist es nicht. Der Erfolg Singapurs fusst nicht auf einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Suchprozess, der offenen und liberalen Systemen eigen ist. Es handelt sich zum grossen Teil eher um das Ergebnis autoritärer Vorgaben, die eng mit dem im März verstorbenen Gründungsvater Lee Kuan Yew zusammenhängen, dessen Visionen heute von seinem Sohn Lee Hsien Long weiterverfolgt werden.

Manfred Rist, 2015, NZZ: Das Erfolgsrezept einer Nation ohne Wurzeln

Dieser autoritäre Stil ist auch Ursache für das relativ konfliktfreie  Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in Singapur. Der Staat verfolgt rigoros Gesetzesverstöße mit drakonischen Strafen. Nicht umsonst wird Singapur gerne als „fine city“ bezeichnet. Scheinbar leichte Straftatbestände wie Müll achtlos wegwerfen, Kaugummi kauen, Essen und Trinken in öffentlichen Transportmitteln, das Nichtbenutzen der  Toilettenspülung, Homosexuell sein, sich in den eigenen vier Wänden nackt aufhalten oder Selbstmord begehen, sind gesetzlich verboten und es drohen hohe Geldstrafen oder sogar Gefängnis. Ob die Strafen dann auch durchgesetzt werden, ist ein anderes Thema. Ursprünglich basiert das Rechtssystem Singapurs sogar auf dem englischen Recht. Seit 1993 wurde die enge Anlehnung mit dem „Application of English Law Act“ zwar gelöst, aber die Verbindungen sind bis heute vorhanden. Erfolg hat diese Vorgehensweise dennoch. Singapur ist nicht nur eine der saubersten Städte der Welt, sondern auch eine der sichersten Städte der Welt. Laut dem „Rule of Law Index“ des World Justice Project liegt Singapore 2017-2018 auf Platz 13 (2015 und 2016 Platz 9).  Allerdings ist die Harmonie im Zusammenleben nicht nur darauf zurück zu führen. Das Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer Gruppen ist sogar staatlich verordnet. So sollen durch sogenannte ethnische Gruppenquoten im sozialen Wohnungsbau (HDB – Housing Development Board) ethnisch-basierte Benachteiligungen verhindert und eine Durchmischung gewährleistet werden. Dieses friedliche Nebeneinander ist allerdings nicht selbstverständlich, wenn man sich die Konflikte in Südostasien der 60er und 70er Jahre anschaut. Viele Staaten hatten sich gerade erst von ihrer kolonialen Fußfessel befreit. Die neue Freiheit entfachte allerdings nationalistisches Gedankengut, Rassenhass und Diskriminierungen. In Vietnam, Laos und Kambodscha führten kommunistische Strömungen zu verheerenden Konflikten und Genozid während in Indonesien und Malaysia die chinesisch-stämmige Bevölkerung verfolgt wurde.

Rückblickend muss die rasante wirtschaftliche Entwicklung, die Singapur zu einer der reichsten Nationen pro Kopf gemacht hat, auch auf dem Hintergrund jener regionalen Probleme gesehen werden. Gerade weil die anderen südostasiatischen Staaten wie Malaysia, Indonesien, Thailand, die Philippinen, Burma und Vietnam instabil, korrupt, unterentwickelt, kommunistisch und kriegsversehrt waren, konnte sich der Stadtstaat als sicherer Hafen positionieren.

Manfred Rist, 2015, NZZ: Das Erfolgsrezept einer Nation ohne Wurzeln

Der Erfolg Singapurs basiert also vielmehr auf einem autokratischem Regierungssystem, dass von den Konflikten der umliegenden Nationen profitiert hat. Heute schwanken die Ansichten zwischen Bewunderung  für den Erfolg des Stadtstaates und Sorge aufgrund der sozialen Kontrolle und der lückenlose Überwachung. 

Nach einer Woche Singapur fiel mir der Abschied daher nicht schwer. Zu konsumorientiert, zu steril und reglementiert war die Stadt nach einer Woche Aufenthalt in meinen Augen. Ich fühlte mich wohl, aber auch ein wenig gelangweilt. Es gab keine Herausforderungen ähnlich derer, die ich die letzten Monate auf Reisen erlebt hatten. Ich wollte weiterziehen, auch, um nicht noch mehr Geld dort auszugeben – denn Singapur ist auch eine Stadt der Verführung. Gleich einer Perlenkette, reihen sich die Einkaufszentren, Museen und Sportstätten auf und buhlen um die Gunst der Besucher.