Cherry blossom in Nanjing

Kirschblüte in Nanjing

Als ich in Nanjing eintreffe, begrüßt mich endlich Sonnenschein und die Kirschblüte. Hier treffe ich Tom, meinen ehemaligen Mitbewohner, und seine Familie. Das ich bereits vor sechs Jahren in China war, hat mit den beiden zu tun. Neben einer traditionellen Hochzeit in Deutschland, gab es auch eine Hochzeitszeremonie für alle Verwandten, Bekannten und Freunde aus China, denn Mingming und die Eltern von Tom sind gebürtige Chinesen. Der Frühling hat sich in Nanjing angekündigt und die Kirschblüte (Cherry Blossom) lockt unzählige Menschen hinaus an den See und den Xuanwuhu Park. Rundherum sind die Straßen verstopft oder kurzerhand zu Fußgängerzonen umfunktioniert worden, um den Ansturm der Schaulustigen auf die Blütenpracht zu bewältigen. Die Kirschblüte wird aber nicht nur in China, sondern weltweit zelebriert. Die Urform des Baumes stammt allerdings aus China. Vom Himalaya fanden die Bäume vor etwa 2000 Jahren ihren Weg in die Welt. Heutzutage gibt es hunderte verschiedene Arten. Die Kultivierung und Hybridisierung haben insbesondere die Japaner vorangetrieben. Über die Jahrhunderte ist die Kirschblüte in Japan zu einem nationalen Wahrzeichen geworden. Es befindet sich auf der 100 Yen Münze und ist ein wiederkehrendes Motiv in der Malerei und in der Tätowierkunst (Irezumi). Aufgrund der kurzen Blütezeit von nur zwei Wochen, symbolisiert die Kirschblüte Schönheit und ein kurzes Leben zugleich. Die Blüte repräsentiert die Schönheit der Frau. Aber auch im Militärwesen und in der Politik erhielt die Blüte eine bedeutende Rolle. Bereits die Samurai verbanden mit dem Motiv der Kirschblüte ein kurzes, aber heldenhaftes Leben. Das heutige Militär hat diese Interpretation übernommen. Im zweiten Weltkrieg nutzten die Japaner das Motiv, um den Nationalismus zu stärken. Die Marine verstand sich als Blume des Todes und Piloten bemalten ihre Kampfflugzeuge mit Kirschblüten, bevor sie als Kamikaze-Flieger in die Luft abhoben. Basierend auf der Geschichte Nanjings, der ehemaligen Hauptstadt Chinas, frage ich mich, ob der eine oder andere Besucher ebenso solche Verknüpfungen zieht zwischen der Kirschblüten und der Japanischen und Chinesischen Geschichte. Es ist gerade mal 80 Jahren her, als die Japaner Nanjing besetzten und mit dem Nanjing Massaker einen unrühmlichen Eintrag in die Geschichtsbücher (Massaker von Nanking) erhielten. Wer erinnert sich noch die Gräueltaten? Doch unter den Schaulustigen finden sich kaum ältere Jahrgänge, die zu dieser Zeit gelebt haben. Die Stadt hat überlebt und ist zu einem Symbol der Moderne und des wirtschaftlichen Erfolges Chinas geworden.
„Über China breitet sich der Schleier des Vergessens aus. […] Heute leben nur noch 1800 Überlebende von 1937. Viele von Ihnen sind zu alt, um überhaupt noch etwas sagen zu können, andere haben sich entschlossen zu schweigen.“ Tor Farovik aus  „Jangtse – Strom des Lebens“
Mittlerweile haben sich China und Japan einander angenähert. Japan hat Millionen in China investiert. Über die Vergangenheit wird nicht gesprochen.