Die letzten Tage in China verbrachte ich im mir lieb gewonnenen Yangshuo. Es ist noch immer kalt und auch der Regen hat sich nicht verzogen. Die Wolken hingen tief und die Sonne ließ sich nur selten sichten. Ich mietete mir für meine verbleibende Zeit einen Roller mit eingebautem Regen bzw. Sonnenschirm. Die Chinesen sind kreativ, auch wenn man dieses Attribut selten mit China in Verbindung bringen mag. Doch hier scheint es einen größeren Spielraum für die Umsetzung von uns absurd wirkenden Ideen zu geben. In Deutschland wäre ein aufgesetzter Schirm undenkbar, ein Verkehrs- und Unfallrisiko. In China sah ich immer wieder „Dinge“ der Unmöglichkeit, die mich Staunen ließen. Dahinter steckt auch ein gewisser Pragmatismus, der mich sehr an Deutschland erinnert. Es wird das Beste aus dem gemacht, was da ist. Vielleicht habe ich das Land daher doch ein wenig ins Herz geschlossen. Manches dauert zwar länger, aber vieles wird doch schnell und unkompliziert umgesetzt.
Seit Jahren stand China auf meiner Liste von Ländern, die ich bereisen wollte, nachdem ich einen ersten Eindruck durch eine zehntägige Hochzeitsreise eines Freundes erhaschen durfte. Und auch dieses Mal kann ich nur sagen, das China ein Land der Superlative ist. Alles ist irgendwie größer als anderswo und die Distanzen weiter als anderswo. China ist derzeit das bevölkerungsreichste Land der Welt und flächenmäßig das viertgrößte Land der Welt. So ist es auch nicht überraschend, dass ich von den potentiellen Sehenswürdigkeiten nur einen Bruchteil von dem gesehen habe, was das Land zu bieten hat. Überrascht hat mich die Leichtigkeit, mit der ich durch China reisen konnte. Natürlich gab es einige Herausforderungen. Beispielsweise die Sprachbarrieren und auch Restriktionen bei Hotelbuchungen, die keine Ausländer beherbergen dürfen. Grundsätzlich war es aber leicht, China alleine zu bereisen. Chinas Verkehrswege sind gut ausgebaut und meistens sehr modern. Einige Bahnhöfe sind größer als europäische Flughäfen. Bewundernswerterweise schaffen es die Chinesen jedoch, einigermaßen Ordnung in das System zu bringen und die Millionen von Chinesen an diesen Verkehrsknotenpunkten zu strukturieren. Auch der Mangel an englischsprechenden Chinesen und mein Mangel an Kenntnissen der chinesischen Sprache waren kein Hindernis, durch China zu reisen. Diverse Sprachapplikationen für das Smartphone und mein Notizbuch mit den grundlegenden Sätzen und Ausdrücken haben sehr geholfen, zurecht zu kommen.
Zurück in Yangshuo war ich allerdings auch wieder froh, von ausländischen Touristen und Kletterern umgeben zu sein. Eine gewisse soziale Isolation tritt schon verstärkt auf, wenn man sich nicht in Touristenzentren aufhält und der chinesischen Sprache nicht mächtig ist. Hier in Yangshuo änderte sich das schlagartig. Die Klettergemeinschaft ist lebhaft und die chinesischen Kletterer werden im Ausland gerne mal unterschätzt. Von dem, was ich gesehen habe, können wir zu Olympia 2020 viel von den Chinesen im Klettersport erwarten. Doch nicht nur die Chinesen sind Badass-Kletterer, auch die Japaner sind sehr stark. Ein Erlebnis prägte diesen Eindruck besonders.
Nach einen verregneten Tag in Yangshuo entschlossen wir uns, eine Nachtsession im Klettern einzulegen. Bei Sonnenuntergang schwangen wir uns auf die Roller und fuhren zur Chicken Cave, eine Höhle mit meist überhängenden Routen. Unser japanischer Freund Ikuma entschied sich für eine Route im achten französischen Schwierigkeitsgrad. Es hielt ihn keineswegs auf, dass er nicht alle Bohrhaken der Route sehen konnte. Auf halbem Wege konnte er wegen der Dunkelheit die Routenführung nicht mehr lesen. Dennoch kletterte er weiter. Wie sich später herausstellte, kletterte er eine wesentlich schwierigere Route – dennoch erfolgreich (onsight). Meine Bewunderung für diese Leistung war groß, vor allem da mir schon beim Zuschauen die Unterarme extrem zu liefen. Dies war mein erster Eindruck von der Stärke der japanischen Kletterer. In Japan sollte ich davon noch viel mehr sehen.